Die Physiotherapie, wörtlich übersetzt "natürlich behandeln",
hat sich in den letzten Jahren in der Tiermedizin als Rehabilitations-maßnahme nach Unfällen und Operationen, bei der
Behandlung degenerativer Erkrankungen des Bewegungsapparates oder auch als trainingsbegleitende Maßnahme im Sport ein
festes Indikationsspektrum erarbeitet, um das normale Bewegungsausmaß des Körpers zu erhalten oder wiederherzustellen.
Voraussetzung für eine wirkungsvolle physiotherapeutische Behandlung ist eine intensive Zusammenarbeit von Haustierarzt/Operateur,
Tierbesitzer und Physiotherapeut.
Die physiotherapeutische Behandlung erfolgt nach den Grundsätzen
- Schmerzfreiheit
- Beweglichkeit
- Koordination
- Muskelaufbau
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Boxer "Yago"
So sieht eine gesunde Muskulatur aus! |
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Zu den häufigsten Einsatzgebieten der Physiotherapie beim Tier zählen zur Zeit:
Prae- und postoperativ
zum Muskelaufbau und zur Erhaltung/Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit mit dem Ziel der Verkürzung der Rekonvaleszenzphase
und Verbesserung des Ausheilungsergebnis. Prophylaxe degenerativer Veränderungen
zur Erhaltung/Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit und Schulung des Gangbildes bei Tieren mit Gelenkfehlstellungen (z.B. HD)
oder Sporttieren
Chronische Schmerzpatienten
als begleitende schmerzmindernde, medikamenteneinsatzreduzierende Maßnahme
Rehabilitation von Lähmungspatienten
zur Erhaltung der Gliedmaßenbeweglichkeit/Muskelfunktion und Koordinationsschulung mit dem Ziel der Erhaltung/Verbesserung
physiologischer Reflexmuster und der damit verbundenen Funktionen im Bereich der Muskulatur und Gelenke, solange
neurologischer Defizite bestehen
Geriatrie
zur Erhaltung/Verbesserung der Beweglichkeit und Ausdauer unter Ausnutzung der digitalisierenden und euphorisierenden
Wirkungen der Behandlung mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensqualität und Reduktion der Medikamentengabe. Bei bestehender
dekompensierter Herzinsuffizienz, metastasierenden Tumorerkrankungen, generalisierten Hauterkrankungen, fieberhaften
Allgemeininfekten sowie bedingt bei Leberfunktionsstörungen sollte von einer physiotherapeutischen Behandlung abgesehen
werden.
Der Erfolg der physiotherapeutischen Behandlung ist in der richtigen Kombination der Therapiemethoden begründet. Um Ihnen
ine Vorstellung der möglichen Therapieansätze zu vermitteln, hier eine kurze Übersicht über häufig eingesetzte Techniken und
deren Wirkungen in der Physiotherapie beim Tier.
Die Massage besteht aus einer individuell anzupassenden Kombination von Grifftechniken, die eine Hyperämisierung in Haut,
Unterhaut und Muskulatur und eine Beschleunigung des Lymphstroms bewirkt. Rein mechanisch vermag sie Adhäsionen im Bereich Haut,
Bindegewebe, Muskulatur zu lösen. Darüber hinaus wirkt die Massage schmerzlindernd und euphorisierend.
Weitere manuelle Techniken, die beim Tier Anwendung finden, sind die entstauend wirkende Lymphdrainage, die im weitesten Sinne
zur Gelenkmobilisierung verwendete Manuelle Therapie sowie die Dehnungsbehandlung der
Muskulatur, die in der Regel in Kombination mit der Massage angewendet werden.
In der Krankengymnastik werden passive Techniken, bei denen der Therapeut die Bewegung ohne Muskelarbeit des Tieres führt, von
aktiven Techniken unterschieden, die beim Tier überwiegend als sogenannte aktive Bewegungsprogramme, wie Bergauflaufen, Slalom
laufen, umgesetzt werden. Als Übergangsform ist die sogenannte aktivassistive Technik zu verstehen, bei der der Therapeut zu
jedem Zeitpunkt der Bewegung eine Führungsfunktion der aktiven Bewegung des Tieres übernehmen kann. Während passive Techniken in
der achsgenauen Anwendung der Erhaltung der Gelenk- und Weichteilintegrität sowie der Durchblutungsförderung und Schmerzsenkung
dienen, ermöglichen aktivassistive und aktive Techniken in Kombination mit lokaler Anwendung von Widerständen eine funktionelle
Stärkung defizitärer Bereiche des Bewegungsapparates sowie eine Koordinationsschulung und Bahnung.
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Darüber hinaus sind aus der Human-Physiotherapie eine Reihe von speziellen Therapieformen bekannt, die Elemente der Massage
und/oder der Krankengymnastik beinhalten, deren Umsetzung in die Tiermedizin wegen unzureichender Interaktion mit dem Patienten
oder aufgrund fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse Schwierigkeiten bereiten.
Häufig vom Besitzer selbst bereits angewendet werden die Kälte- und Wärmetherapie. In der Physiotherapie beim Tier kann ein
zielgerichteter Einsatz der Kältetherapie aufgrund ihrer schmerzstillenden, adstringierenden Wirkung sowie der Wärmetherapie
aufgrund ihrer durchblutungsfördernden Wirkung eine sehr hilfreiche Unterstützung anderer Therapieformen sein.
Unter dem Begriff der Physikalischen Therapie sind die sog. technischen Anwendungen
zusammengefaßt, zu denen die Elektrotherapie, der therapeutische Ultraschall sowie die Magnetfeld-,
die Licht- und als deren Sonderform die Low-Level-Lasertherapie
gehören. Während die Magnetfeld-und Lasertherapie sich bereits zunehmender Beliebtheit in der Kollegenschaft erfreuen, sind die
anderen Therapieformen bisher eher auf einen kleinen Therapeutenkreis beschränkt. Allen Therapien gemeinsam ist, dass sie
unterschiedlich erzeugte Energien in den zu therapierenden Körper hineinbringen und aktivierend wirken. Die Elektrotherapie findet
beim Tier insbesondere in der Atrophieprophylaxe bei Lähmungspatienten sowie adjuvant in der Schmerztherapie Anwendung. Der vom
Menschen bekannte Einsatz im Muskelaufbau ist beim Tier wegen fehlender Akzeptanz eher unbekannt. Der therapeutische Ultraschall
hat ein ähnlich umfangreiches Indikations-spektrum wie die Lasertherapie. Aufgrund des Mikromassageeffektes kann er u. a. zur
Behandlung von Gelenk-, Sehnen- und Muskelverletzungen eingesetzt werden sowie zum Einbringen von hautpenetrierenden Arzneimitteln
in den Körper. Die Wirkungen des pulsierenden Magnetfeldes sind trotz umfangreicher Forschungsansätze in der Humanmedizin innerhalb
der Tierärzteschaft umstritten. Wissenschaftlich belegte Indikationen sind degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen sowie
posttraumatisch in der Frakturheilung.
Grundlage jeder erfolgreichen physiotherapeutischen Behandlung ist eine physiotherapeutische Befundung,
die in ausgiebiger Form zu Beginn der Behandlung als Eingangsuntersuchung sowie zum Ende einer Behandlung als Abschlussuntersuchung
durchgeführt wird, aber auch Bestandteil jeder dazwischen liegenden Therapiesitzung ist. Der Verlauf der physiotherapeutischen
Behandlung ist vom individuellen Fall abhängig. Erfahrungsgemäß wird zunächst analog der Humanphysiotherapie eine Behandlungseinheit
von 5-10 Behandlungen mit einer Dauer der Einzelbehandlung von 20-45 Minuten angesetzt. In Abhängigkeit vom Anfahrtsweg und den
finanziellen Möglichkeiten der Tierbesitzer kann bei guter Mitarbeit von Tier und Besitzer ein Minimum an Behandlungseinheiten im
Sinne einer Hausaufgabenüberwachung ausreichend sein. In der Regel sind die therapieaufwendigsten Behandlungen, die der chronischen
Erkrankungen sowie die der Lähmungspatienten mit bereits lange bestehenden Lähmungserscheinungen.
Die Physiotherapie ist, wie hoffentlich verdeutlicht wurde, eine Behandlungsmethode basierend auf den natürlichen Funktionskreisen
des Organismus und ist daher ebenso störanfällig wie die natürlichen Funktionskreise. Für den Therapeuten ist es zur Vermeidung
bzw. Klärung von Therapieblockaden daher unabdingbar notwendig, die vollständige Krankengeschichte des Patienten zu kennen. Aus
diesem Grunde ist der Erfolg der Physiotherapie mehr als bei anderen Therapien von der Kommunikation der Beteiligten abhängig.
Möchten Sie einen Patienten zur physiotherapeutischen Behandlung anmelden, ist es daher unbedingt erforderlich, daß der
Patientenbesitzer die Krankengeschichte, einschließlich der Informationen über bisher durchgeführte Therapien, vorlegt.
Insbesondere bei Patienten, die eine postoperative Rehabilitation erfahren sollen, ist für den Therapeuten auch aus forensischen
Gründen eine genaue Beschreibung des angewandten OP-Verfahrens erforderlich. |